Zerstörende Prüfung in der Messystemanalyse

Zerstörende Prüfungen sind ein Sonderfall in der Messsystemanalyse, da sie die Wiederholbarkeit der Messung am selben Teil unmöglich machen. Hier sind die wichtigsten Punkte und wie man trotzdem eine Art Eignungsnachweis durchführen kann:

Das Problem bei zerstörenden Prüfungen

  • Keine Wiederholbarkeit: Da das Prüfobjekt bei der Messung zerstört wird, kann man nicht denselben Gegenstand mehrmals messen, um die Messsystemstreuung (Wiederholpräzision) direkt zu bestimmen.
  • Referenzwertproblematik: Oftmals ist es schwierig oder unmöglich, einen „wahren“ Referenzwert für das zerstörte Teil zu haben.

Trotzdem Eignungsnachweis?

Ja, auch wenn die klassischen Verfahren der Messsystemanalyse nicht 1:1 anwendbar sind, ist ein Eignungsnachweis wichtig und möglich. Man muss jedoch angepasste Methoden verwenden und die Randbedingungen stärker berücksichtigen. Die Normen und Richtlinien (wie ISO 9001, IATF 16949) fordern die Eignung aller Mess- und Prüfprozesse, nicht nur die Eignung von Standardverfahren.

Ansätze für zerstörende Prüfungen

Homogene Chargen/Cluster (Stellvertretende Wiederholteile):

Idee: Man geht davon aus, dass Teile aus einer sehr homogenen Produktionscharge (z.B. direkt nacheinander gefertigt, aus demselben Rohmaterialblock, enge Toleranzen bei Fertigungsparametern) nahezu identische Eigenschaften haben. Man behandelt sie stellvertretend für Wiederholmessungen.

  1. Vorgehen: Man teilt die Charge in Gruppen auf und betrachtet jede Gruppe als ein „virtuelles“ Teil für die Wiederholmessung. Man misst dann mehrere Teile aus jeder Gruppe.
  2. Beispiel (entsprechend Verfahren 2):
    • Man hat 10 Gruppen (Cluster) von Teilen.
    • Jede Gruppe besteht aus mehreren (z.B. 6) nahezu identischen Bauteilen. Diese „Nahezu-Identität“ muss begründet sein (z.B. enge Prozessparameter, Materialcharge, etc.).
    • Innerhalb jeder Gruppe führt man die Messungen durch, als ob es sich um Wiederholmessungen an einem Teil handeln würde.
  3. Konkrete Beispiele für die Bildung von Gruppen:
  4. Stanzteile: 10 Gruppen von je 6 Stanzteilen, die zu verschiedenen Zeitpunkten aus dem Prozess entnommen wurden.
  5. Spritzguss-Granulat:
    • 10 Säcke, aus denen je 6 Proben entnommen werden.
    • 5 Säcke, aus denen je 12 Proben entnommen werden.
  6. Webstoffe: 10-mal 1 m Webstoff, auf Homogenität und Fehlerfreiheit geprüft und in 6 Teile geschnitten.

Wichtig: Gründliche Dokumentation der Homogenitätsannahme und -prüfung.

Indirekte Messungen

  • Man sucht nach nicht-zerstörenden Messgrößen, die mit der zerstörenden Messgröße korrelieren.
  • Beispiele:
    • Härteprüfung: Man könnte die Härte an einer Stelle messen, die beim späteren zerstörenden Test (z.B. Zugversuch) nicht beansprucht wird.
    • Schweißnahtprüfung: Ultraschallmessung vor dem Zerreißtest.
    • Man prüft die Korrelation zwischen zerstörender Messung und vorangegangener zerstörungsfreier Messung, und nutzt letztere im Prozess

Mehrfachmessung an einem (zerstörten) Teil:

Manchmal kann man nach der Zerstörung noch Informationen gewinnen. Beispiele:
* Härteprüfung: Mehrere Eindrücke auf einem Teil hinterlassen (wenn die Abstände groß genug sind, beeinflussen sich die Eindrücke nicht gegenseitig) und die Eindrücke vermessen. Aber: Das ist oft nicht repräsentativ für die Variation der Härte zwischen Teilen.
* Schnittbilder: Ein Teil zerschneiden, präparieren und dann das Schnittbild mehrfach mikroskopisch vermessen (z.B. Schichtdicken, Einschweißtiefe, Korngrößen).

Referenzteile die dem Prozess sehr ähnlich sind

Referenzteile aus dem Fertigungsprozess mit sehr ähnlichen oder gleichen Eigenschaften erstellen. An diesen Teilen können wiederholte Messungen durchgeführt werden.

Dummy-Objekte/Simulationen

In manchen Fällen kann man den eigentlichen Messprozess durch „Dummys“ simulieren, die sich ähnlich verhalten, aber nicht zerstört werden. Beispiel: Statt echter Crash-Tests mit Autos könnte man Crashtest-Dummys mehrfach verwenden und die Sensoren an diesen auswerten.

Aber: Die Übertragbarkeit auf das reale Bauteilverhalten muss sorgfältig geprüft werden.

„Golden Sample“-Methode (mit Vorsicht!)

Man definiert ein Referenzteil („Golden Sample“).

  1. Problem: Dieses Teil muss extrem gut charakterisiert sein (sehr genaue Messung mit einem deutlich besseren Messsystem), was bei zerstörenden Prüfungen oft nicht gegeben ist.
  2. Gefahr: Wenn das „Golden Sample“ nicht perfekt ist, wird der Bias (systematische Abweichung) falsch eingeschätzt. Die Methode ist nur mit extremer Vorsicht und unter enger Begrenzung anwendbar.

Mehrere Normale statt eines Teiles nutzen

Beispiel Härtemessung: Statt eines Teils nutzt man mehrere Härtevergleichsplatten.

Wichtig: Dies testet die Reproduzierbarkeit (Vergleichbarkeit zwischen Prüfern), aber nur bedingt die Wiederholbarkeit (da jedes Normal einen anderen Wert hat).

Fokus auf Prozessstabilität

Wenn eine direkte Bestimmung der Messunsicherheit schwierig ist, kann man den Fokus verstärkt auf die Überwachung der Stabilität des Messprozesses legen. Regelmäßige Vergleichsmessungen, auch wenn die Teile unterschiedlich sind, können Trends und Veränderungen aufzeigen.

Wichtige Grundsätze

  • Dokumentation: Egal welche Methode verwendet wird, die Vorgehensweise und die Annahmen müssen sehr genau dokumentiert werden.
  • Risikobewertung: Da die Verfahren oft indirekter sind, ist eine sorgfältige Risikobewertung besonders wichtig.
  • Validierung: Wenn man von Standardverfahren abweicht, muss man die neue Methode validieren, d.h. zeigen, dass sie für den Zweck geeignet ist.
  • Risikobewertung: Wenn ein Messprozess nicht fähig ist, ist zu bewerten, welche Auswirkung eine mögliche Fehlentscheidung hat.

Zusammengefasst

Zerstörende Prüfungen sind eine Herausforderung für die Messsystemanalyse. Man muss kreative, angepasste Methoden finden, um die Eignung des Messprozesses trotzdem zu beurteilen. Dabei sind die folgenden Prinzipien wichtig:

  • Transparenz: Alles muss sehr genau dokumentiert werden.
  • Indirekte Methoden: Oft muss man auf indirekte Messungen oder Vergleiche ausweichen.
  • Fokus auf Stabilität: Die Überwachung der Prozessstabilität ist besonders wichtig.
  • Risikobewertung: Da die Unsicherheit oft größer ist, muss das Risiko von Fehlentscheidungen besonders sorgfältig bewertet werden.
  • Homogenität: Wenn man mit „virtuellen Wiederholteilen“ arbeitet, muss die Homogenität innerhalb der Gruppen sehr gut begründet und dokumentiert werden.

Beachte immer: Es gibt keine „Ausnahme“ von der Pflicht, die Eignung aller Mess- und Prüfprozesse nachzuweisen!

Quellen:

  • Eignungsnachweis von Mess- und Prüfprozessen, Fähigkeit, Eignung und Messunsicherheit im aktuellen Normenumfeld, Dietrich und Schulz
  • Minitab: zerstörerische Prüfung in der Messsystemanalyse